Projekt der Woche #223: Akademie für Digitalität und Theater

Mit der Akademie für Digitalität und Theater, einer gemeinsamen Initiative des Theater Dortmund, des Landes NRW und der Stadt Dortmund, entsteht in Kooperation mit dem Deutschen Bühnenverein und der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft für die Theater in Deutschland erstmals ein Ort der digitalen künstlerischen Forschung und der Aus- und Weiterbildung des künstlerischen wie auch des technischen Personals. Michael Eickhoff, der Chefdramaturg des Schauspiel Dortmund, Michael Eickhoff, gehört zu den Initiatoren der Akademie für Digitalität und Theater. Theresa Brüheim spricht mit ihm über die sich in Gründung befindende Akademie. Das Interview ist zuerst erschienen in der aktuellen Ausgabe 4/18 (Juli, August) von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, die Sie hier als PDF-Download finden (Interview auf S. 16). Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur
Theresa Brüheim: Herr Eickhoff, das Schauspiel Dortmund hat die Akademie für Digitalität und Theater initiiert. Was soll diese machen?
Michael Eickhoff: Die Akademie ist im Schnittfeld von wissenschaftlicher Forschung, künstlerischer Praxis und Wirtschaft angesiedelt. Dort wollen wir erforschen, wie Menschen in der digitalen Moderne mit digitalisierten Verfahren und digitalen Technologien künstlerisch arbeiten können. An der Akademie sollen Menschen aus Kunst und Technik miteinander forschen. Im Kern geht es um die Bereiche berufliche Weiterbildung, praxisbezogene Forschung und Ausbildung im Rahmen eines neuen Studiengangs.
Die Akademie für Digitalität und Theater ist aktuell noch in Planung.
Richtig, die Akademie ist seit anderthalb Jahren in der Planung – und ist in gewisser Weise Ausdruck einer längeren Erfahrung, die wir in den vergangenen sieben Jahren am Schauspiel Dortmund unter der Intendanz von Kay Voges gesammelt haben. Insofern gehen in diese Akademie sieben Jahre Theaterpraxis von Schauspielerinnen, Regisseuren, Dramaturginnen, Videokünstlern, Bühnenbildnerinnen und vielen anderen ein. In den vergangenen Jahren haben wir uns immer wieder gefragt: Was bräuchte das Stadttheatersystem auf einer technologischen und inhaltlichen Ebene für Neuerungen – und wie reagiert das Theater auf die Neuerungen, die mit der Digitalen Moderne einhergehen? Insofern ist die Akademie ein Versuch, drei Dinge miteinander zu verbinden: Ausbildung, Weiterbildung und Forschung. Auf diesen drei Säulen ruht das Dach der Akademie. Ab Februar 2019 gehen wir mit der Gründung von zwei Säulen voran: Forschung auf der einen Seite; berufliche Weiterbildung auf der anderen Seite.
Wann hatten Sie das erste Mal die Idee; wie kam es zu dieser?
Das Team am Schauspiel Dortmund hat sich in den zurückliegenden Jahren einerseits inhaltlich und künstlerisch mit Themen der Digitalen Moderne beschäftigt und andererseits digitale Technologien praktisch erprobt. Dabei haben wir in dreierlei Hinsicht einen Mangel konstatieren müssen: einen Mangel an Geld, an Zeit und an beruflicher oder praktischer Expertise. Wir haben festgestellt, dass wir zu künstlerischen Arbeiten, die wir am Schauspiel Dortmund unter digitalen Vorzeichen auf die Bühne bringen, immer häufiger Nachfragen von anderen Theatern bekommen. Dieses in der Praxis erworbene Wissen weiterzugeben, erschien lohnenswert und brachte uns auf den Gedanken, die Weiterbildung im Rahmen der Akademie zu professionalisieren: Wir wollen Wissen teilen und neues Wissen gewinnen, indem wir Expertinnen und Experten des Digitalen in die Akademie einladen. Zugleich möchten wir Menschen aus anderen deutschsprachigen Stadt- und Staatstheatern zur Weiterbildung für verschiedene Berufsgruppen einladen. Mit der Akademie kann ein Mangel an Qualifikation behoben werden und das Stadttheater für die Herausforderungen der Digitalen Moderne fit gemacht werden.
In der praktischen Inszenierung gibt es zugleich aber auch einen Mangel an Zeit und Geld. Wenn wir eine komplizierte Arbeit mit einem aufwendigen technischen Setup konstruieren, kommen wir mit den regulären Zyklen von sechs bis acht Wochen Probenzeit, in der Schauspieler und Regisseurinnen an einem Text arbeiten, nicht aus: Wenn wir beispielsweise einen Algorithmus programmieren, der auf der Bühne künstlerisch wirken soll, brauchen wir eine deutlich längere Vorlaufzeit. Zugleich werden Spezialisten – beispielsweise Coder oder Mathematiker – auf dem freien Markt viel besser bezahlt, als dies im Theater möglich ist – die Theater müssen also in der Wahrnehmung attraktiver werden. Zugleich soll die Akademie diesen Mangel an Zeit mit einem Programm für Forschungsstipendiatinnen und -stipendiaten beheben helfen. Der kühne Wunsch ist, vom Druck des Theaterbetriebs befreit und mit einem Stipendium gefördert, eine anwendungsbezogene Arbeit für eine Theaterproduktion gleich welcher Sparte voranzubringen und zugleich auszuprobieren - also anwendungsbezogene Forschung für den Theaterbetrieb.
Wie soll die Akademie für Digitalität und Theater in Zukunft arbeiten?
Die Arbeit teilt sich in Qualifizierung, Labor und Studium. Nehmen wir zunächst die Säule Qualifizierung, also Weiterbildung: Am Theater gibt es ca. 40 verschiedene Berufsbilder. In allen besteht in unterschiedlichem Maße Weiterbildungsbedarf. Wir könnten uns vorstellen, im Rahmen der Akademie einen Teil dieser Weiterbildungen abzubilden. Das kann z. B. die Fortbildung für einen Maskenbildner am 3D-Drucker sein. Aber auch genauso kann es eine Fortbildung für eine bestimmte Computersoftware sein, für Licht- und Tonsoftware – das schließt die technischen Berufe ebenso ein wie z. B. Video-Künstler. Fortbildung braucht Raum und Zeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und eine Einsicht in den Theaterleitungen, dass Fortbildung bezahlter Teil des Berufes ist und nicht in der Freizeit passieren kann. Daher überlegen wir gemeinsam mit der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft und dem Deutschen Bühnenverein, wann welche Module die digitale Weiterbildung betreffend angeboten werden sollen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Abstimmung mit den Theaterleitungen besuchen können.
In dem Bereich der Forschung, dem sogenannten Labor, wollen wir ca. zehn Stipendiatinnen und Stipendiaten jeweils für ein halbes Jahr an der Akademie versammeln. Man bewirbt sich mit einem anwendungsbezogenen Projekt und bekommt - nach der Annahme - dann für fünf Monate neben Kost und Logis einen Arbeits-und Forschungsplatz in Räumen der Akademie: Hier soll im Verbund in den Bereichen KI, VR, AR, Robotik, Sensorik, Motion Capturing etc. geforscht werden. Die spätere Leitung der Akademie hat eine kuratierende Funktion, um die Stipendiatinnen und Stipendiaten klug auszuwählen und zusammenzustellen. Junge forschende Menschen aus Kunst und technischen Berufen sollen sich nach ihrem Studium hier miteinander vernetzen können – und sich zugleich in ihrer eigenen Arbeit professionalisieren. Derzeit sind wir mit verschiedenen Förderern im Gespräch, um auch über den deutschsprachigen Raum hinaus zu denken. Es wäre absolut wünschenswert, wenn wir Stipendiatinnen und Stipendiaten mit Projektvorschlägen aus Italien, Norwegen, den Benelux-Staaten oder Georgien für fünf Monate aufnehmen könnten.
Zuletzt der Bereich Ausbildung bzw. Studium: Hier möchten wir einen Studiengang akkreditieren, der sowohl dem technologischen Impuls wie auch der künstlerischen Expertise verpflichtet ist. Idealerweise gleisen wir diesen Studiengang mit zwei Partnern auf: Fachhochschule, Universität oder Kunsthochschule. Die Gespräche dafür beginnen gerade – noch steht nicht fest, mit wem wir diese Kooperation eingehen, wie die Akkreditierung ablaufen wird und wie der Studiengang heißen wird.
Der Anspruch der Akademie für Digitalität und Theater ist, mit ihrer Arbeit zivilgesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Worin besteht Ihrer Meinung nach diese genau?
Ich begreife das Theater grundsätzlich als einen gesellschaftlichen Ort, an dem Vergangenheit reflektiert und Zukunft entworfen wird. Dabei sind die digitalen Technologien der schärfste Einschnitt seit der Erfindung des Buchdrucks. Die Kunst muss sich die Aufgabe setzen, über diese Entwicklung und die damit verbundenen Umbrüche innerhalb der digitalen Moderne nachzudenken und zu reflektieren. Wir, Künstlerinnen und Künstler, müssen uns fragen: In welche Richtung wollen wir diese Entwicklung treiben und begleiten? Wo sollten wir bestimmten Entwicklungen etwas entgegensetzen? Wir merken beispielsweise sehr stark, wie die Bedürfnisse, die sich mit digitaler Technologie verbinden, von der Wirtschaft vorformuliert werden – und dass eine kritische künstlerische Expertise diesbezüglich zu wenig stattfindet und so auch kaum gefragt ist. Wir sollten versuchen, mit der Akademie eine Deutungshoheit über die Art und Weise, wie digitale Verfahren in der Arbeitswelt, aber auch im künstlerischen Verfahren angewendet werden können, zu erlangen. Das ist eine elementare soziale und politische Frage. Wir starten den Versuch, die Digitalisierung stärker in den Reflexionsraum der Kunst zu setzen.
Die Akademie für Digitalität und Theater soll unter anderem fit für die Zukunft machen. Was wäre aber, wenn in Zukunft Theaterberufe durch künstliche Intelligenz ersetzt werden würden?
Das ist eine spannende Frage. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz kann man schon in der Produktion der Bildenden Kunst bemerken, aber auch anhand von Texten sehen. Erste Werke, Bilder, Kompositionen oder Texte wurden ja mithilfe von künstlicher Intelligenz, d. h. von Algorithmen, programmiert und produziert. Dadurch entsteht ein ganz neuer Begriff a) des Künstlers und b) des Kunstwerks. Das ist eine sehr spannende Diskussion. Allerdings denke ich nicht, dass künstliche Intelligenz Theaterberufe ersetzt. Wir sind viel zu sehr auf die Menschen angewiesen, von ihren Fähigkeiten, Begabungen und Abgründen fasziniert. Wir sind davon angetan und zugleich abgestoßen, zu beobachten, was Menschen mit anderen Menschen tun. Es kann nicht darum gehen, den Menschen über digitale Technologien oder durch Maschinen zu ersetzen. Vielmehr kann man über die digitalen Technologien eine ganz neue Verletzlichkeit des Menschen zeigen. Damit erzählen wir etwas über unsere sich verändernde Welt. Wir können sehen, wie der Mensch selbst eine Zukunft kreiert und viel stärker zu einem Kreateur einer zweiten Spezies, nämlich der Maschinen, wird – die unter Umständen irgendwann selbst ein Eigenleben oder eine Ethik für sich reklamieren.
Die spannende Frage, die sich aber für die Arbeit auf einer Theaterbühne stellt, ist doch: Wenn ein programmierter Algorithmus Teil der Inszenierung wäre, der beispielsweise die Bewegung eines Roboterarms auf der Bühne steuert, dann möchte ich doch im nächsten Schritt herausfinden, wie diese Form von künstlicher Bewegung, wie diese künstliche Intelligenz gemeinsam mit einem Tänzer oder einer Spielerin auf der Bühne interagiert. Künstliche Intelligenz, Robotik, Motion Tracking und andere digitale Technologien im Theater werden andere Formen des Erzählens, andere Themen und andere Formen der künstlerischen Rezeption nach sich ziehen – à la longue eine andere Kunst. Gesamtgesellschaftlich betrachtet, könnte man sagen, dass im Theater die Interaktion zwischen Mensch und Maschine erprobt und entwickelt, beobachtet und befragt werden kann – auf dem Spiel steht das Verhältnis von Menschen und Maschinen in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft.
Vielen Dank.
Weitere Informationen
https://www.theaterdo.de/uploads/events/downloads/Enjoy_Complexity.compressed.pdf
https://www.kulturrat.de/publikationen/zeitung-politik-kultur/