Projekt der Woche #220: Drei Länder, sechs Sprachen, ein Projekt: das Weimarer Dreieck auf der Bühne

Im trilateralen Projekt "Drei Länder, sechs Sprachen, ein Projekt: das Weimarer Dreieck auf der Bühne” beschäftigten sich 24 schwerhörige und gehörlose Schülerinnen und Schüler im Alter von 16 bis 19 Jahren aus Berlin, Warschau und Paris mit der Frage "Wie wird in den verschiedenen europäischen Ländern mit Behinderungen umgegangen?". Für das im November 2017 bis April 2018 realisierte Theater- und Ausstellungsprojekt kooperierten die Margarethe-von-Witzleben-Schule in Berlin, das Centre Français de Berlin, das französische Institut für junge Gehörlose Institut de Jeunes Sourds in Paris, der Verband Peuple et Culture und die polnischen Schule für Gehörlose Instytut Gluchoniemych in Warschau. Das Projekt wurde mit dem diesjährigen "Young Europeans Award" ausgezeichnet, der unter dem Motto "To be or not to be … a European?" stand.
Projektleiterin Melanie Lançon vom Centre Français de Berlin wurde von Kultur bildet.-Redakteurin Ulrike Plüschke befragt.
Ulrike Plüschke: Frau Lançon, wie ist die Idee für das Projekt entstanden und welches Ziele haben Sie mit dem Projekt angestrebt?
Melanie Lançon: Schwerhörige und Gehörlose sind heute noch immer oft Opfer von Diskriminierungen in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, Frankreich und Polen. Die politischen Empfehlungen sind immer bedeutender für die Inklusion von Personen mit Behinderungen, zum Beispiel in Schulen oder am Arbeitsplatz. Aber: Wie beteiligen sich junge Gehörlose und Schwerhörige in der Zivilgesellschaft? Der interkulturelle Austausch sollte die Begegnung zwischen jungen Schwerhörigen und Gehörlosen aus den drei Ländern ermöglichen. Dadurch ist ein interkultureller Lernprozess zwischen den drei nationalen Kulturen möglich, aber auch zwischen den Kulturen der Gehörlosen und Schwerhörigen der drei Länder.
Mit diesem deutsch-französisch-polnischen Projekt wollten wir den Jugendlichen einen Austausch über Themen rund um die Unterschiede und Ähnlichkeiten bei der Behandlung der Behinderung in Deutschland, Frankreich und Polen ermöglichen. Während des Projektes wurde also ganz konkret die Inklusion von jungen Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft thematisiert und diskutiert. Durch die künstlerischen Aktivitäten, die non-verbale Kommunikation und die interkulturelle Begegnung sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigene kreative Erfahrungen sammeln.
Würden Sie bitte darstellen wie das Projekt umgesetzt wurde.
Die drei Gruppen haben sich das erste Mal vom 26.11.-3.12.2017 in Berlin getroffen. Neben Kennenlernübungen und zahlreichen sprachlichen Animationen, die für eine bessere Kommunikation zwischen den Teilnehmenden gedient haben, haben die Teilnehmenden während der Woche unter anderem die Stadt Berlin entdeckt und die deutsche Partnerschule besucht. Die Woche hat sich ums Theater gedreht. Die Jugendlichen haben an Theater-Workshops teilgenommen, die von einem gehörlosen Theaterpädagogen geleitet wurden. Die Teilnehmerinnen haben sich in diesem Rahmen mit dem Thema der Hörbehinderung beschäftigt und am Ende der Woche eine Aufführung im Veranstaltungssaal des Centre Français präsentiert. Die Gruppe wurde außerdem vom Verwaltungsrat des Deutsch Französischen Jugendwerks eingeladen, um sich mit den Generalsekretären, dem Staatsekretär des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Herrn Kleindiek, und dem interministeriellen Beauftragten für die Jugend in Frankreich, Herr Dujol, auszutauschen.
Die Gruppe traf sich dann für die zweite Projektphase vom 19.-26.02.18 in Paris. Die Kommunikation zwischen den Teilnehmenden hatte sich deutlich verbessert. Während der Woche haben sie sich mit dem Thema „Junge Schwerhörige/Gehörlose in 2018 sein“ auseinandergesetzt und eine Ausstellung erstellt. Die Gruppe hat sich in drei kleineren gemischten Gruppen aufgeteilt und mit den Medien Foto und Video gearbeitet. Die Ausstellung wurde in der Schule präsentiert. Während der Woche nahmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an interkulturellen Aktivitäten, wie zum Beispiel einen selbstorganiserten interkulturellen Abend und erkundeten natürlich auch die Stadt Paris und ihre Sehenswürdigkeiten. Die Entdeckungen und Eindrücken, die sie in Paris gesammelt haben, wurde anlässlich des Besuchs des französischen Bildungsministers Jean-Michel Blanquer und der Generalsekretärin des DFJWs Béatrice Angrand vorgestellt.
Die dritte und letzte Woche des Projektes hat vom 7.-14.04.18 in Warschau stattgefunden. Alle waren sehr glücklich, sich wieder zu treffen. Die Gruppe wurde im Internat der polnischen Schule untergebracht, die im Herzen von Warschau liegt. Die Teilnehmenden nutzten die Gelegenheit, die Kultur und Sprachen der anderen tiefer kennenzulernen, so zum Beispiel durch die täglichen Sprachanimationen. Alle waren sehr begeistert und motiviert, diese letzte Austauschwoche so schön und unvergesslich wie möglich zu machen. In der Woche in Warschau haben die Teilnehmenden bei Workshops ihre eigene interkulturelle Erfahrung reflektiert. Durch verschiedene Medien wie Fotografie, Video und plastische Kunst haben sie sich mit den verschiedenen Erinnerungen, Eindrücken, Gefühle, Werten und zukünftigen Perspektiven auseinandergesetzt. Die Ergebnisse wurden am letzten Tag des Austausches in der Schule vorgestellt. Ziel war auch, das Interesse der anderen Schülerinnen und Schüler zu wecken und ihnen zu zeigen, dass die Mobilitätsmöglichkeiten keine Grenze kennt – auch nicht mit Behinderung.
Die Woche in Warschau endete mit einer außergewöhnlichen Freude, als der Gruppe mitgeteilt wurde, dass das Projekt den "Young Europeans Award 2018“ gewonnen hat. Die Gruppe feierte dies natürlich und alle waren sehr erfreut, dass sie sich an diesem Tag in Warschau nicht zum letzten Mal sehen würden, sondern dass sie sich ein paar Monate später zu Preisverleihung wieder treffen werden.
Nochmals herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung! Sie sprachen es ja mehrfach an und auch der Titel des Projekts macht es schon deutlich: Kommunikation spielt eine zentrale Rolle bei diesem trilateralen Projekt. Wie haben sie denn die insgesamt sechs Sprachen zusammenbringen können?
Es war ein Mix aus ganz unterschiedlichen Methoden. Wichtig war, dass wir einen sehr fähigen dreisprachigen Dolmetscher für das Projekt gewinnen konnten, der teilweise simultan, teilweise als Flüsterversion für die Lehrerinnen und Lehrer für die Gebärdendolmetscher zwischen dem Deutschen, Polnischen und Französischen hin- und her übersetzte. Auch die sehr engagierten und fähigen Lehrerinnen und Erziehrinnen der französischen und polnischen Gruppe haben ständig in der Gebärdensprache gedolmetscht. Teilweise hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch Hörgeräte, doch das Gebärden spielte eine zentrale Rolle. Es wäre zu komplex, hier alle Details vorzustellen. Wichtig ist auf jeden Fall zu wissen, dass es zwar die internationale Gebärdensprache gibt, die auch manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer benutzten. Allerdings stand der Transfer zwischen den jeweiligen Sprachen und Gebärdensprachen im Zentrum. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben in den drei Projektwochen auch sehr motiviert die Sprachen der anderen gelernt und große Lernfortschritte gemacht. Zugleich wollten wir aber auch keinen zu hohen Erwartungsdruck aufbauen und haben deshalb auch bewusst non-verbale Ausdrucksformen als Methoden der kreativen Auseinandersetzung gewählt.
Planen Sie – auch beflügelt durch den Young Europeans Award – eine Weiterführung des Projekts?
Gern würden wir mit den gleichen Partnern das Projekt für das Schuljahr 2019/2020 wieder durchführen. Wir müssen uns natürlich alle nochmal absprechen, aber wir sind, ich glaube, sehr motiviert dafür. Jetzt kennen wir uns besser, haben zusammen Erfahrungen gesammelt, um das Projekt zu verbessern und vertiefen. Wir glauben alle, dass es sehr wichtig ist, weitere Projekte mit jungen Gehörlosen aufzubauen!
Vielen Dank und viel Erfolg weiterhin!
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Weitere Informationen
Webseite des Cente Français de Berlin http://centre-francais.de/de/
Webseite des Young Europeans Award http://www.young-europeans-award.org/
Webseite des Deutsch Französischen Jugendwerkes DFJW https://www.dfjw.org/meldungen/die-gewinner-des-wettbewerbs-young-europeans-award-2018-sind-gekurt.html
Webseite des Deutsch Polnischen Jugendwerkes DPJW https://www.dpjw.org/aktuelles-projekte/aktuelles/die-gewinner-des-young-europeans-award-2018-stehen-fest/
Website der Stiftung für Deutsch Polnische Zusammenarbeit http://sdpz.org/aktuelles/die-gewinner-des-wettbewerbs-young-europeans-award-2018-sind-gekurt--ZBD0nd
Allianz Kulturstiftung https://kulturstiftung.allianz.de/de/foerderung_projekte/operative-projekte/young_europeans_award/
Fondation Hippocrène http://fondationhippocrene.eu/de/les-prix-hippocrene/prix-jeunesse-europeenne/
