Projekt der Woche #216: Erzählzeit

ErzählZeit ist ein langfristig angelegtes Projekt in Berlin zur künstlerischen Vermittlung der deutschen Sprache und Erweiterung der Sprachkompetenz und Phantasie in Schulpraxis und Soziokultur und wird getragen vom gemeinnützigen Verein FabulaDrama e.V. Seit nunmehr 10 Jahren führt ErzählZeit zu nachhaltigen Erfolgen in der Sprachbeherrschung von Kindern und Schülerinnen und Schülern insbesondere nichtdeutscher Herkunftssprache.
Der konzeptionelle Bogen Erzählen – Zuhören – Weitererzählen erweitert die Sprach- und Erzählfähigkeit in einem nachhaltigen Prozess. Das freie Erzählen als kleinste Theaterform ist das Herzstück von ErzählZeit. Die ein-, teilweise zweijährigen Kernprojekte in den Schulen und Kitas beinhalten wöchentliche Erzählstunden mit professionellen Erzählerinnen und Erzählern. In der Verknüpfung von poetischer Sprache, gestischem und mimischem Ausdruck entsteht ein sinnlicher Weg, der den Kindern und Schulkindern eine ungewohnte und lustvolle Begegnung mit Sprache und der Vielfalt internationaler Märchen und Mythen ermöglicht. Das Konzentrationsvermögen wird gestärkt und die Fähigkeit, eigene Bilder beim Zuhören entstehen zu lassen, wird entwickelt. In der kommunikativen Situation eines "Poetischen Raums", der Erzählen und Zuhören als Einheit begreift, findet Sprachbildung auf emotionaler Ebene statt, werden Phantasie, Kreativität und Neugier auf Fremdes gefördert und literarische Erstbildung in mündlicher Form erlebt.
Projektleiterin und Vorstandsmitglied von FabulaDrama Sabine Kolbe wurde von „Kultur bildet.“-Redakteurin Ulrike Plüschke befragt.
Frau Kolbe, zunächst noch alles Gute zu 10 Jahren ErzählZeit! Könnten Sie bitte eingangs darstellen, wie das Projekt funktioniert, d.h. im welchem Rahmen Ihr Verein das freie Erzählen an Kita- und Schulkinder heranträgt.
Seit 2008 ist ErzählZeit berlinweit unterwegs und war bisher in 140 Schulen und 5 0 Kitas zu Gast.Pro Schuljahr kooperieren wir jeweils mit ca. 20 Grundschulen und 6 Kindergärten.
In den Schulen können jeweils 3 Klassen am Projekt teilnehmen, in den Kitas jeweils 3-4 Gruppen. Mit seiner stetigen, lebendigen Erweiterung des Grundkonzepts – durch die ErzählZeit in der Jurte, Bibliotheksveranstaltungen, Festtagen, Begegnungen mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen in Projektwochen – zeichnet sich ErzählZeit durch seine ästhetische Gesamtqualität und künstlerische Professionalität im Feld der kulturellen Bildung, insbesondere der Sprachförderung aus.
Die ErzählZeit in der Jurte in Zusammenarbeit mit der Zentral-und Landesbibliothek Berlin bietet jeweils von Oktober-März eines Jahres für Kinder und Eltern gemeinsam die Möglichkeit professionelle Erzählkunst zu erleben und den reichen Schatz internationaler Märchen kennenzulernen.
Ähnlich ist die Zusammenarbeit mit den Stadtteilbibliotheken in der Nähe der Schulen gelagert und wird ergänzt durch Erzählauftritte einiger Klassen. Eine feste Größe sind seit 2013 die ErzählZeit-Festtage im Podewil, wo auch das ErzählZeit-Projektbüro stationiert ist. Hier sind Präsentationen aus der Zusammenarbeit mit anderen Künsten in Projektwochen zu erleben. Der Weltgeschichtentag am 20.März ist auch eine feste Größe im öffentlichen ErzählZeit-Programm.
Die Kernprojekte mit Kitas und Schulen laufen teilweise ein bis zwei Jahre – wie läuft dies in der Regel ab?
In den ErzählZeit-Partnereinrichtungen finden in den beteiligten Klassen / Gruppen wöchentliche und im zweiten Jahr zweiwöchentliche ErzählZeit-Stunden statt. Hierbei ist das Ermöglichen eines POETISCHEN RAUMS im Schulalltag wichtig für die nachhaltige und langfristige Entwicklung, das Wachstum der Wirkungen von ErzählZeit. Die gesamte ästhetische Situation - ein eigener Raum für die wöchentlichen ErzählZeit-Stunden , zumindest ein umfunktionierter Klassenraum mit einer Zuhörsituation, sind ebenso wichtig wie die künstlerische Professionalität der Erzähler*innen.
Neben dem Erzählen von Märchen aus aller Welt, insbesondere auch aus den Herkunftsländern der Kinder/ Eltern und im zweiten Schulhalbjahr dem Einsatz fremdsprachiger Erzähler*innen trägt ErzählZeit der Sprachen- und Kulturenvielfalt Berlins Rechnung.
Nach den ersten Erzählstunden steht das gemeinsame Nacherzählen der letzten Geschichte am Anfang der ErzählZeit. Es ist eine Freude mitzuerleben, wie die Kinder sich die verwendeten Wendungen zu eigen machen und in ihren Schilderungen versuchen der Sprachfülle der Erzähler*innen nahe zu kommen. Aus Zuhörer*innen werden so Erzähler*innen, die sich selbstbewusst und mehr und mehr sprachgewandt die deutsche Sprache erschließen.
Die Lehrer*innen bestätigen uns immer wieder, wie wichtig die Erzähler*innen als Sprachvorbilder für die Schüler*innen sind und beschreiben Veränderungen der Konzentrations-, Merk- und Erzählfähigkeit im Laufe der ErzählZeit-Periode.
Seit 2013 bieten wir außerdem für jeweils 4 Klassen pro Jahr einwöchige Projektarbeiten gemeinsam mit der Erzählerin und einer weiteren künstlerischen Form (Musik, Bildende Kunst, Objekttheater, Trickfilm und Hörspiel) am Ende des ErzählZeit-Jahres an. Oder arbeiten während Projekttagen direkt auf eine Bibliotheksveranstaltung hin. Die Präsentationen zeigen lebendige, wortgewandte und spielfreudige Kinder. Das emotionale Ereignis des Ausprobierens, Vorbereitens und der Auftritt vor anderen Kinder und / oder den Eltern erzeugt ebenso eine emotionale Beteiligung, die die Kinder nachahmend und spielerisch zu Erzähler*innen werden lässt. Das sind für alle Beteiligten und Zuhörenden / Zuschauenden beglückende Momente.
Der Bogen Erzählen - Zuhören - Weitererzählen wirkt unmittelbar in die häusliche Situation hinein, von 621 befragten Kindern geben 425 an, dass sie die gehörten Geschichten zu Hause weitererzählen, an Eltern, Geschwister und Freunde.
Wenn Sie auf die vergangenen 10 Jahre zurückschauen, was sind die schönsten „Erfolge“ und Entwicklungen im Rahmen von ErzählZeit?
Der Übergang von der 3-jährigen Förderung durch den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung in eine verlässliche Förderung durch den Berliner Senat für Bildung, Jugend und Familie war ein besonderer Meilenstein! Gleichzeitig wurde ErzählZeit im Jahr 2012 mit dem Titel „Bildungsidee in Deutschland“ ausgezeichnet. Die allerschönsten und emotionalsten Erfolge erleben die Erzähler*innen wöchentlich in „ihren“ Schulen und Kitas, wenn sie stürmisch auf dem Schulhof begrüßt werden und in den Erzählstunden eine spannende aufmerksame Atmosphäre herrscht. Und das größte Geschenk sind immer wieder im Laufe des Schuljahres wortgewandtere kleine Erzähler*innen, die uns mit ihren Nacherzählungen und beim Geschichtenerfinden zum Staunen bringen.
Welche Zukunftspläne haben Sie für das Projekt?
Damit ErzählZeit verlässlich angeboten werden und wachsen kann, geben wir zukunftsweisend in der nächsten Zeit neuen, jüngeren Erzähler*innen, die Möglichkeit ErzählZeit durch Hospitationen kennenzulernen und sich als Schul-/ Kitaerzähler*in auszuprobieren. Außerdem wollen wir die öffentlichen Veranstaltungen für Familien in den Bibliotheken an Samstagen und einem Wochennachmittag ausbauen, um in mehreren Berliner Bezirken jeweils kleine Erzähloasen zu etablieren.
Weitere Informationen
Förderer
Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung (Förderer 2008 - 11)
Berliner Senat für Bildung, Jugend und Familie (Förderer seit 2012)
Partner
Podewil - mit Sitz der Kulturprojekte GmbH, hier das Projekt die Räumlichkeiten für ErzählZeit-Festtage, Weiterbildungen, Jour Fixe etc. nutzen, außerdem Bürostandort
Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Kinder- und Jugendbibliothek - Jurte
Stadtteilbibliotheken in den Berliner Bezirken
Koreanisches Kulturinstitut
